Als Wehrpflicht bezeichnet man die Pflicht eines Staatsbürgers, für eine
gewisse Zeit in der Armee seines Landes zu dienen. Zwar gab es in der Geschichte immer wieder "Aushebungen" von Truppen.
Eine erste selektive tatsächliche Wehrpflicht führte jedoch erst Schwedens König Gustav II um 1630 ein. Der erste europäische
Staat, der seine Truppen fast ausschließlich aufgrund einer allgemeinen Wehrpflicht organisierte, war das Frankreich der
französischen Revolution um 1793.
1813 übernahm der preußische Heeresreformer General Gerhard von Scharnhorst das Modell und begründete dies mit dem Satz:
"Der Bürger ist der geborene Verteidiger seines Landes."
Der deutsche Historiker und Politiker Karl von Rotteck (1775 - 1840) erweiterte diesen 1816 um die Forderung:
"Der Soldat darf nicht aufhören, Bürger zu sein."
Als 1955 die Bundeswehr gegründet - und 1956 die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt - wurde, fanden
diese Leitsätze ihre Prägung in der Begrifflichkeit des "Staatsbürgers in Uniform" und wurden zentraler Aspekt der
"Inneren Führung", wie sie von Graf von Baudissin, Graf von Kielmansegg und Ulrich de Maizière als Leitbild der Bundeswehr
geschaffen wurde.
Über vierzig Jahre lang blieb die Wehrpflicht auch in Deutschland umstritten; gleichwohl aber Garant der Verteidigungsbereitschaft
im Kalten Krieg. Obwohl nie alle Teile der Bevölkerung zum Wehrdienst herangezogen wurden, schuf die Wehrpflicht
dennoch in der Bundeswehr einen "Spiegel der Gesellschaft" und sorgte so dafür, dass aus jeder sozialen Schicht Menschen aller
Denkweisen in der Armee dienten und diese so in der Mitte der Gesellschaft hielten. In dieser Zeit hatte die Bundeswehr eine
Stärke von 495.000 Mann, von denen zwischen 180.000 und 230.000 Wehrpflichtige waren.
Das Ende des Kommunistischen Systems in Ost-Europa und damit auch dem Ende des Warschauer Paktes, bedeutete auch für die
Bundeswehr die bis dahin größte Umstrukturierung ihrer Geschichte. Die durch die Aufnahme der Nationalen Volksarmee der
Deutschen Demokratischen Republik nach der Wiedervereinigung kurzfristig auf 1 Mio Soldaten angewachsene Armee sollte auf
253.500 Soldaten reduziert werden. 188.000 davon Zeit- und Berufssoldaten und 3.500 Reservisten in Wehrübung, sowie 26.500
freiwillig längeren Wehrdienst leistende Soldaten (FWDL) und nur noch 35.500 Wehrpflichtige. Gleichzeitig wurden
Krisenreaktionsanteile von 140.000 Soldaten und eine Beteiligung an der EU-Eingreiftruppe von 18.000 Soldaten festgelegt.
Es wird deutlich, dass die Bundeswehr zu einer hauptsächlich aus Freiwilligen bestehenden Armee umgebaut wurde,
deren Aufgaben stärker den je im internationalen Einsatz liegen sollten. Diese Entwicklung ging auch mit einer kontinuierlichen
Gefährdung der Soldaten sowie immer mehr zeitgleicher Einsätze einher. Standen am Anfang noch humanitäre oder Sicherungseinsätze,
folgten bald erste Kampfeinsätze; noch geführt von der Luftwaffe gegen einen hoffnungslos unterlegenen Gegner. Es folgten
erste "Stabilisierungseinsätze" und schließlich "Robuste Mandate" die zunehmend "kriegsähnliche Zustände" annehmen -
wie es "politisch korrekt" umschrieben wurde. Selbst die Beteiligung der Bundeswehr an der "International Security Assistance
Force (ISAF)" in Afghanistan, im Rahmen des nach den Anschlägen auf die USA vom 11. September 2001 innerhalb von zwei Tagen in
Kraft gesetzten "Bündnisfall", wurde
erst Ende 2009 als das bezeichnet was es ist: Ein Krieg!
Nach der Auflösung des Warschauer Paktes änderte sich der Auftrag der Bundeswehr zunächst mehr zum Schwerpunkt auf Auslandseinsätze,
Krisenbewältigung, Konfliktverhinderung, Kampf gegen den Terrorismus und zur Unterstützung der Bündnispartner bei deren Wahrnehmung
dieser Aufgaben. Die Landesverteidigung blieb zwar weiterhin Auftrag, jedoch nicht mehr an erster Stelle..
Nach der Annektion der Krim durch Russland 2014 nahm die NATO die Bündnisverteidigung wieder in den Focus. Dem trug das
Verteidigungsministerium 2016 Rechnung, indem es u.a. die Landesverteidigung wieder zum Kernauftrag machte.
Schauen wir uns den Auftrag der Bundeswehr
an:
Auftrag der Bundeswehr ist es
Deutschlands Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen;
zur Resilienz von Staat und Gesellschaft gegen äußere Bedrohungen beizutragen;
die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands abzustützen und zu sichern;
gemeinsam mit Partnern und Verbündeten zur Abwehr sicherheitspolitischer Bedrohungen für unsere
offene Gesellschaft   und unsere freien und sicheren Welthandels- und Versorgungswege beizutragen;
zur Verteidigung unserer Verbündeten und zum Schutz ihrer Staatsbürger beizutragen;
Sicherheit und Stabilität im internationalen Rahmen zu fördern und
europäische Integration, transatlantische Partnerschaft und multinationale Zusammenarbeit zu stärken.
Aus diesem Auftrag leiten sich die
Aufgaben der Bundeswehr ab. Diese sind:
- Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO und der EU;
- Internationales Krisenmanagement einschließlich aktiver militärischer und zivil-militärischer Beiträge;
- Heimatschutz, nationale Krisen- und Risikovorsorge und subsidiäre Unterstützungsleistungen in
Deutschland;
- Partnerschaft und Kooperation auch über EU und NATO hinaus;
- Humanitäre Not- und Katastrophenhilfe;
Wehrpflichtige wurden zu dem neuen Schwerpunktauftrag der Bundeswehr aber nicht herangezogen! Damit stellte
sich zunehmend die Frage, warum Teile der Streitkräfte überhaupt noch aus Wehrpflichtigen bestehen sollen. Bisher hatten sich
in Umfragen stets rund 68 % der Bevölkerung für eine Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen. Erstmalig sank die
Zahl 2002 auf nur noch 51 %. Eine Umfrage vom März 2009 ergab sogar nur noch eine Zustimmung von 21 % für die Wehrpflicht.
Verschiedene politische Entscheidungen führten in der Zwischenzeit zu einem chronischen Geldmangel nicht nur
der deutschen Regierung, in deren Folge 2010 ein hartes Sparpaket beschlossen wurde. An diesem sollte sich die Bundeswehr mit
8,3 Mrd. Euro beteiligen. Damit wurde ein weiteres Reformprojekt für die Bundeswehr notwendig, welches unter der Ägide des
Verteidigungsministers zu Guttenberg auf den Weg gebracht wurde. Bis 2016 soll eine Struktur eingenommen werden, die es erlaubt
permanent 10.000 Soldaten (2010: 7.000) in Auslandseinsätzen zu haben. Gleichzeitig soll aber gespart werden. Neben der
Aussetzung vieler Beschaffungsvorhaben und einer Reduzierung der Truppe auf 185.000 Soldaten brachte es die Aussetzung
der Wehrpflicht mit sich. Ab dem 01. März 2011 wurden keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen.
Warum die Aussetzung der Wehrpflicht ein Fehler ist
Der Auftrag "Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger" verlangt, dass die Streitkräfte die "Befähigung zur
Rekonstitution" behalten. Der Wiederaufbau der Befähigung zur Landesverteidigung ist ohne Wehrpflicht nicht machbar;
bzw. nur in Zeiträumen vernünftig wiederherstellbar, für die im Zweifelsfall zu wenig Zeit bleiben könnte.
Hierbei muss man sich vor allem klar machen, dass "Landesverteidigung" in der Bundesrepublik Deutschland noch nie die reine
Verteidigung der eigenen Landesgrenzen, sondern schon immer die des Bündnisgebietes bedeutet hat und weiter bedeutet. Es geht
also weniger um die Befähigung der Verteidigung Deutschlands inmitten Europas, sondern um die Befähigung zur Verteidigung des
Bündnisgebietes an den Grenzen der Gemeinschaft.
Neben der Bündnisverteidigung sind aber auch die Aufgaben im Katastrophenfall sehr personalintensiv. Vor
allem dann, wenn die vorgesehenen Kräfte von Feuerwehr, THW, Deichschutz, etc. nicht mehr ausreichen. Objektschutz, ABC-Schutz,
Verkehrslenkung und technische Unterstützung sind klassische Aufgaben von Wehrpflichtstreitkräften und können in ausreichender
Personalstärke nur von Wehrpflichtarmeen kurzfristig bereitgestellt werden.
Beim Oderhochwasser 1997 und beim Elbehochwasser 2002 konnte noch die Bundeswehr, gestützt auf eine Struktur von
Verteidigungsbezirkskommandos in Kompaniestärke, noch Führung und Personalstärke bereitstellen. Heute steht dem "Katastropheneinsatzleiter"
vor Ort nur noch ein "Beauftragter Bundeswehr für die Zivil-militärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ)" zur Verfügung. Dabei handelt es sich
um einen Reservisten in der Dienststellung eines Stabsoffiziers, der einen kleinen Kommandostab von knapp 12 Reservisten ab Dienstgrad
Feldwebel führt. Dieser "Stab BeaBwZMZ" hat weder Kommandogewalt noch Personal zur Verfügung. Im Fall der Anforderung militärischer
Unterstützung kann der "BeaBwZMZ" lediglich eine Meldung an sein zuständiges "Landeskommando" geben. Aber auch dieses kann keiner
"Truppe" etwas befehlen, sondern lediglich bei den Truppenteilen mit den nachgefragten Fähigkeiten "anfragen" ob und bis wann
diese eventuell in der Lage sind zu helfen.
Zusammen mit der verringerten Personalstärke der Bundeswehr und der verstärkten Bindung in Auslandseinsätze, verspricht das
nächste Hochwasser mit einem hohen Personalbedarf zum Schutz und zur Hilfeleistung für die Bevölkerung, also in mehr als einer
Hinsicht eine Katastrophe zu werden.
Weiterer wichtiger Punkt der Wehrpflicht ist die Nachwuchsgewinnung.
In den Jahren der Wehrpflicht rekrutierte sich jeder zweite "Längerdiener" der Bundeswehr aus ihren Reihen. Auch wenn sich
zunehmend nicht alle Schichten der Gesellschaft gleichermaßen an der Wehrpflicht beteiligen ließen, so eröffnete die Wehrpflicht
den Streitkräften dennoch die Möglichkeit, einen Querschnitt der Bevölkerung in der Truppe zu integrieren und
eine "Negativauslese" zu vermeiden. Das hohe Ansehen, welches sich die Bundeswehrsoldaten in den Auslandseinsätzen der letzten
Jahre in den Einsatzgebieten erworben haben, ist auch darauf zurück zu führen das sich die Truppe bisher aus einem Querschnitt
der Bevölkerung rekrutiert.
Alle Länder, welche die Wehrpflicht abgeschafft haben, klagten danach über Nachwuchsprobleme. Es bewerben sich zu wenige und von
diesen mit Masse nur diejenigen, die aus sozialen, wirtschaftlichen oder Bildungsgründen in der Gesellschaft nicht erfolgreich
sind. Dieselbe Entwicklung zeichnet sich nach der Aussetzung der Wehrpflicht auch bei der Bundeswehr ab. So konnten die
Kreiswehrersatzämter zum zweiten Quartal 2011 von 3000 benötigten Rekruten lediglich 600 gewinnen. Zu hören war von KWEA, bei
denen nicht ein Bewerber eine abgeschlossene Berufsausbildung oder auch nur einen Schulabschluss hatte. Folgerichtig sind
bereits unglaubliche Vorschläge zu hören. Etwa das die Bundeswehr künftig "verstärkt um Geringqualifizierte" werben soll, oder
sie für Ausländer zu öffnen (a la Fremdenlegion?).
Junge Menschen, die im Beruf qualifiziert und erfolgreich sind, tauschen nur selten ihren Arbeitsplatz - und sei es auch nur
auf Zeit - mit den Streitkräften. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man sich klar macht welche Nachteile mit dem
freiwilligen Dienst über die Wehrpflicht hinaus verbunden sind. Hohe Arbeitszeitbelastung, vielfach zu ungünstigen Zeiten,
Einschränkungen der persönlichen Freiheit und lange Auslandsverwendungszeiten verbunden mit dem Risiko eines möglicherweise
lebensgefährlichen Auftrags.
Ein weiteres kommt hinzu. Längst nicht jeder Soldat im Auslandseinsatz ist ein Zeit- oder Berufssoldat. Rund
6 % der Kontingente bestehen aus Reservisten, die nach relativ kurzen Verwendungszeiten aus der Wehrpflichtarmee ausgeschieden
sind und neben ihrem Beruf der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Wenn künftig immer weniger Soldaten immer längere Verwendungszeiten haben,
stehen in absehbarer Zeit auch weniger Reservisten für diese Aufgaben zur Verfügung.
Weitere 5 % der Auslandskontingente werden von freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistenden (FWDL) gestellt. Dabei handelt
es sich um Wehrpflichtige, die freiwillig einen längeren Wehrdienst bis zu 23 Monate ableisten und ihr Einverständnis zum Einsatz
im Ausland gegeben haben. Sie erhalten dafür Zulagen auf nebenstehenden Wehrsold.
An ihre Stelle ist jetzt der neue "freiwillige Wehrdienst (FWD) treten und soll jungen Interessenten vor einer längeren Verpflichtung
die Chance bieten, zwischen 12 und 23 Monaten die Bundeswehr kennen zu lernen. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob die
vorgesehene Besoldung so attraktiv ist, dass Menschen mit besseren Verdienstmöglichkeiten zur Bundeswehr gehen.
2020 hat die Bundeswehr den FWD-Sold angepasst. Siehe nebenstehende Tabelle.
Auch die Nachwuchsgewinnung und damit die Grundlage für die Einsatzfähigkeit, ist also in hohem Maße von der Existenz der
Wehrpflicht abhängig.
Alternativ kann man natürlich eine Besoldung anbieten, welche den Dienst rein
finanziell so attraktiv macht, dass sich genügend Bewerber finden. Die Erfahrungen der Staaten, die vor Deutschland die
Wehrpflicht abgeschafft haben, zeigten allesamt das eine reine Freiwilligen-/Berufsarmee wesentlich teurer als eine
Wehrpflichtarmee kommt. Alle Staaten verzeichneten einen wesentlichen Anstieg der Personalkosten trotz erheblicher
Umfangsreduzierungen. Vergleicht man den Wehrsold früherer Zeiten mit dem FWD-Sold, so wird die Teuerung auch bei Berücksichtigung
der Teuerungsrate seit 2011 deutlich.
Ursächlich dafür sind auch die höheren Kosten für die Attraktivitäts- und Werbemaßnahmen zur Gewinnung des Nachwuchses.
Im März und April 2011 schrieb die Bundeswehr 498.000 junge Männer an und schickte ihnen Werbebroschüren zu. Gerade mal 1800
- also weniger als 0,4 % - reagierten darauf und bekundeten Interesse. Man stelle das mal in das Verhältnis zu Druck und
Portokosten - und das ist nur ein kleines Beispiel. Werbekampagnen in Tageszeitungen, Verpflichtungs- oder Weiterverpflichtungsprämien
und eine Vielzahl anderer Maßnahmen treiben die Kosten in die Höhe. Wer nun glaubt das dies in Zeiten der Digitalisierung ein
unwichtiger Posten ist, der übersieht die Kosten für die Bereitstellung der digitalen Inhalte.
Volkswirtschaftlich darf zudem die mit einer Aussetzung der Wehrpflicht verbundene Freisetzung von Arbeitskräften nicht
übersehen werden. Bislang entzog die Wehrpflicht dem Arbeitsmarkt genau die Anzahl an Menschen, die zur Ableistung des Wehr-
oder Ersatzdienstes herangezogen wurden. Künftig suchen diese alle zusätzlich Arbeit auf einem Arbeitsmarkt, der sich zwar
- wenn man den Statistiken der Regierung glaubt - erholt, aber immer noch keine Vollbeschäftigung bietet.
Gleichzeitig hat die Aussetzung der Wehrpflicht auch das Wegbrechen der Zivildienstleistenden für die sozialen Einrichtungen
bedeutet. Entweder muss deren Arbeitsleistung wesentlich teurer anderweitig eingekauft werden, was unmittelbar zu einer
Verteuerung der sozialen Dienste führt. Zwar würde ein Teil dieser Kosten durch Abgaben wieder reinkommen, welche diese
Vollarbeitskräfte dann abführen. Aber unterm Strich bleibt eine Mehrbelastung, die wir alle mit höheren Belastungen in den
Sozialabgaben bezahlen werden. - Oder man verzichtet einfach auf die Erbringung dieser Dienstleistungen, was für viele
Betroffene fatale Folgen hat. So wandte sich im April 2011 ein Student mit einer weitgehenden Körperlähmung in seiner Not über
das Radio an die Bevölkerung und suchte auf diesem Weg Freiwillige, die den Dienst der beiden Zivildienstleistenden übernehmen
wollen, die ihn bisher betreut haben und nach einer freiwilligen Verlängerung ihres Zivildienstes in Kürze ihren Dienst beenden.
Heißer Diskussionspunkt in der Frage der Wehrpflicht war die in den Augen vieler nicht
mehr gegebene Wehrgerechtigkeit. Tatsächlich haben selbst in den stärksten Zeiten der Wehrpflicht rund ein Drittel der
Männer eines Jahrgangs aus verschiedensten Gründen überhaupt keinen Dienst abgeleistet. Mit dem zurückgehenden Wehrpflichtigenanteil
in den Streitkräften erhöhte sich dieser Anteil weiter. Das Bundesministerium für Verteidigung behauptet jedoch, dass es trotzdem
immer eine weitgehende Wehrgerechtigkeit gegeben hat. Allerdings bedient sich das Ministerium auch eines "Kunstgriffs".
Es rechnet in die Zahl der Wehrpflichtigen nämlich nur diejenigen ein, die nicht einen Ersatzdienst leisten bzw. aus
gesundheitlichen oder anderen Gründen (Drittbruderregelung, etc.) von der Wehrpflicht ausgenommen sind. Diese Ausnahmen
konnte man natürlich nach belieben verändern. So wurden irgendwann Rekruten mit Tauglichkeitsgrad drei oder Verheiratete
nicht mehr einberufen, u.ä.m.
Im Januar 2005 hat das Bundesverfassungsgericht allerdings die Praxis der Bundeswehr bestätigt. "Wehrgerechtigkeit" ist danach
gegeben, wenn alle in eine Auswahl passenden Personen gleichberechtigt den Dienst ableisten müssen. Wieviele durch die getroffene
Auswahl bereits vorab herausfallen, ist nach der Logik des Gerichts für die Wehrgerechtigkeit nicht von Belang.
Trotzdem sollte natürlich eine Wehrgerechtigkeit nicht dadurch erreicht werden, dass man die Anzahl der Ausnahmen nach Bedarf
variiert. Erreichen könnte man das, in dem man eine entsprechende Truppenstärke vorsieht und auch Wehrpflichtige an allen
Aufgaben der Bundeswehr teilhaben lässt.
Allerdings ist das politisch nicht opportun. Denn keine der Parteien will Wehrpflichtige
in die Einsätze schicken, in die sie die freiwilligen Soldaten ohne erkennbare Bedenken schicken. Der Grund liegt in dem
gesellschaftlichen Aufschrei und Widerstand, den eine Entsendung von Wehrpflichtigen hervorrufen würde. Doch macht es sich die
Politik da zu einfach, denn eigentlich sollte es doch so sein, dass notwendige Einsätze von einer breiten Masse der Bevölkerung
getragen werden. Diesen Konsens muss die Politik im Zweifelsfall eben herbeiführen - und nicht einfach umgehen.
Der scheinbar nicht beteiligte Bürger übersieht dabei außerdem, dass die Aussetzung der Wehrpflicht keine Abschaffung ist.
Statt über eine Grundgesetzänderung die Wehrpflicht abzuschaffen, hat die Politik lediglich über einen Verwaltungsakt die
Einberufung zur Wehrpflicht ausgesetzt. Dies belässt der Politik das Instrument der Wehrpflicht in vollem Umfang.
Im Fall, dass die "stehenden Kräfte" für die zu bewältigenden Aufgaben nicht ausreichen, kann die Einberufung jederzeit wieder
in Kraft gesetzt werden. Das kann etwa eine zu geringe Freiwilligenquote sein. So hat Dänemark die Wehrpflicht auch "ausgesetzt",
beruft aber doch immer wieder Wehrpflichtige ein, wenn die Freiwilligenzahlen nicht ausreichen. Das kann aber auch eine Krise
oder ein Krieg an den Grenzen des Bündnisses sein, zu dessen Bewältigung sich Deutschland beteiligen muss oder will, aber die
vorhandenen Kräfte nicht ausreichen. Fataler Nebeneffekt: Wer dann zum Dienst "gezogen" wird, der wird nicht mehr mit einer
ordentlichen Ausbildung zum Kampf befähigt, sondern nach einem Crashkurs als Kanonenfutter an die Front geschickt.
Wichtigstes Argument für die Wehrpflicht ist deshalb die Kontrolle der Gesellschaft
über die Politik, die über die Einsätze der Bundeswehr entscheidet. Durch eine umfassende Beteiligung auch von Wehrpflichtigen
an allen Aufgaben der Streitkräfte würde für die Politik eine Hemmschwelle geschaffen, welche die Politik in dazu bringt,
Streitkräfte wirklich nur als letztes Mittel einzusetzen. Leider wurde durch die Reduzierung der Wehrpflichtigenanteile und die
Aussparung der Wehrpflichtigen aus bestimmten Aufgaben diese Kontrolle zunehmend eingeschränkt und jetzt mit der Aussetzung
völlig aufgehoben.
Rund alle zwei Monate traten in den Jahren der Wehrpflicht ca. 26.000 neue Rekruten den Dienst bei der Bundeswehr an. Dieser
ständige Austausch von jährlich 156.000 Soldaten mit der Bevölkerung sorgte dafür, dass einerseits die BW politisch,
gesellschaftlich und qualitativ in der "Mitte der Gesellschaft" integriert blieb, andererseits das Interesse der Bevölkerung
an den Streitkräften und der über sie bestimmenden Politik nicht nachließ. Mit zunehmender Reduzierung der Wehrpflicht und
unterschiedlicher Aufgabenstellung für Freiwillige und Wehrpflichtige entzog die Politik Teile der Streitkräfte der Kontrolle
der Bevölkerung und es entstand das, was der ehemalige Bundespräsident Köhler als "freundliches Desinteresse" umschrieb.
Die sicherheitspolitischen Veränderungen in der Welt machen Krisenreaktionskräfte aus Freiwilligenkräften durchaus nötig, um
schnell und adäquat eingreifen zu können, wenn es notwendig ist. Solche Kräfte sollten aber nicht die Mehrheit der - oder gar
ausschließlich die - Streitkräfte bilden. Die "Hemmschwelle Wehrpflichtarmee" sollte der Politik grundsätzlich nicht erspart
bleiben. Diese Hemmschwelle kann aber nur funktionieren, wenn Wehrpflichtige in ausreichender Zahl in alle Teile der Streitkräfte
und alle Aufgaben integriert sind. Nur dann wird die Politik gezwungen den Einsatz der Streitkräfte ausschließlich dann in's Auge
zu fassen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.
Allerdings bedeutet das auch, dass der Dienst von Wehrpflichtigen an die Anforderungen der gegenwärtigen Sicherheitslage angepaßt
werden muß. Das heißt: Wehrpflichtige müssen im Laufe ihres Wehrdienstes zum Einsatz im Rahmen internationaler Missionen bis hin
zum Gefecht der verbundenen Waffen befähigt werden. Das geht nicht in sechs und auch nicht in 12 Monaten. W18, und die
Bereitschaft im Zweifel unsere Soldaten auch einzusetzen, auch wenn es Wehrpflichtige sind, ist dann nötig.
Im Zuge der Sparmaßnahmen und Truppenreduzierung wurden die früheren Reserveeinheiten zunächst in Heimatschutzbataillone umgegliedert.
Es folgte die Wegnahme der Ausrüstung und schließlich eine Reduzierung auf "Reserve- und Unterstützungskompanien (RSU)".
Mit der Änderung des Auftrags 2016 folgte eine Neuplanung, in dessen Verlauf zunächst aus den RSU-Kompanien in Bayern 2019 ein
Landesregiment
für Heimatschutz gebildet wurde. Als nächster Schritt sollen die RSU-Kompanien Deutschlands ab 2022 in weitere fünf Landesregimenter
eingebunden werden. Die nunmehr Heimatschutzregiment genannten Einheiten stellen den Kern der territorialen Reserve, in denen auch die Soldaten des
Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz ausgebildet und eingesetzt werden.
Die Rekruten und späteren Reservisten sollen aus einem Projekt gewonnen werden, welches das Bundesministerium der Verteidigung (BMVG) 2021 unter dem Namen
"Dein Jahr für Deutschland"
aufgelegt hat. Wesentlicher Unterschied zum bisherigen Freiwilligen Wehrdienst (FWD) ist, dass kein Einsatz in Auslandseinsätzen erfolgt
und die Dienstzeit nicht zwischen 12 und 23 Monaten, sondern nur sieben Monate beträgt, an die sich fünf Monate Reservedienst
in einem Zeitraum von sechs Jahren anschließen. Ausbildung und Reservedienstleistungen finden in einem Heimatschutzregiment
statt, welches in der Nähe zum eigenen Wohnort liegt.
Vergleicht man die Stärke aller neuen Heimatschutzregimenter (~ 3000 Soldaten), mit der Stärke der früheren
Wehrpflichtarmee (> 180.000), dann wird deutlich das dies kein Ersatz sein kann und man mit Recht in Frage stellen muss,
ob dies den neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gerecht wird.
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