
Kosovo - Ein Staat, geboren im Chaos
Monatelange Verhandlungen über die Möglichkeiten eines Verbleibens der "Provinz Kosovo" im serbischen Staat blieben letztlich erfolglos. Sie scheiterten einerseits am Unabhängigkeitswillen der albanischen Kosovaren; andererseits an der Weigerung Serbiens dem Kosovo autonome Rechte zuzuerkennen.
Am 17. Februar 2008 folgte, was lange erwartet wurde. Nach acht Jahren unter dem Protektorat der UNO erklärte sich das KOSOVO zu einem neuen, unabhängigen Staat.
Die Außenminister der Europäischen Union berieten bereits am 18. Februar über die Unabhängigkeitserklärung. In einer gemeinsamen Erklärung legten sie fest, dass die EU-Mitgliedstaaten über ihre Beziehungen zum Kosovo in Übereinstimmung mit ihrer nationalen Praxis und dem Völkerrecht selbst entscheiden werden. Gleichwohl bleibt der Kosovo unter dem Protektorat der UNO, wird weiter von der europäischen Gemeinschaft unterstützt und seine Entwicklung vor Ort beobachtet und begleitet.
Innerhalb der ersten drei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung erkannten Frankreich, Großbritannien, die USA, Australien, die Türkei; und Deutschland den Kosovo an. Die Bundesregierung folgte dabei der Überzeugung, dass die rasche Anerkennung der Republik Kosovo seitens möglichst vieler Staaten die einzige Möglichkeit ist, dauerhaft Stabilität in die Region zu bringen
Doch sehen wir uns genauer an, welche Stabilität - welcher Frieden - in der Region tatsächlich existiert.
Für die kosovarischen Albaner ist die Unabhängigkeit Grund zur Freude und sie feierten die Staatsgründung. Bei den kosovarischen Serben löst sie jedoch Besorgnis aus. Sie fürchten nun die Verfolgung, Gängelung, Missachtung und Unterdrückung erleiden zu müssen, unter denen zuvor jahrelang die albanische Bevölkerungsgruppe unter den Serben gelitten hatte. Entsprechender Widerstand flammte auf. Neu errichtete Grenzposten nach Serbien wurden angegriffen, albanische Flaggen verbrannt und in Belgrad wurden gewaltsame Demonstrationen mit Tränengas auseinander getrieben.
Schon im Dezember 2007 hatte die Europäische Union entschieden, eine Polizei- und Rechtsstaats-Mission in das Kosovo zu schicken. Am 16. Februar gab die Europäische Union dann den Startschuss für die Einsatztruppe mit dem Namen "Eulex Kosovo". Rund 1.800 Experten aus den Bereichen Verwaltung, Gericht und der Polizei werden in den nächsten vier Monaten im Kosovo helfen. Am 03. März hat das Bundeskabinett die Beteiligung durch 180 Polizisten beschlossen.
Eulex wird die bisherige zivile Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) ablösen, aber im Gegensatz zu UNMIK keine Kontrollbefugnisse ausüben sondern die unabhängigen Behörden im Kosovo nur unterstützen. Das Personal der EU-Mission leitet die Beschäftigten in den Verwaltungen, Gerichten und der Polizei an. Dafür werden Fachleute wie Richter, Staatsanwälte, Polizei-und Zollbeamte in das Kosovo geschickt. Sie wirken darauf hin das die Organe des Kosovo frei von politischer Einflussnahme handeln und sich an international anerkannte Standards halten. Außerdem sollen sie dafür sorgen, dass Kriegsverbrechen, Korruption, organisierte Kriminalität und andere Verbrechen verfolgt und rechtlich geahndet werden. Das ist - wie eine Analyse des IEP (Berliner Institut für europäische Sicherheitspolitik) zeigt - auch dringend notwendig.
Die Studie im Auftrag des Verteidigungsministeriums zeichnet ein beängstigendes Bild von der Lage im Kosovo. Der Aufbau einer demokratischen Ordnung wird als gescheitert angesehen und das Land gilt als feste Machtbasis für die Organisierte Kriminalität. Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Diebstahl, Raub und Autoschieberei seien die profitabelsten Wirtschaftszweige. Mit einem Tagesumsatz von 1,5 Mio. Euro erwirtschaften die kriminellen Kräfte rund ein viertel des durch europäische Hilfsleistungen künstlich hoch gehaltenen kosovarischen Bruttosozialprodukts. Das Kosovo dient als Rückzugsort für kriminelle Akteure, in dem im großen Stil internationales Schwarzgeld gewaschen wird. So gibt es zum Beispiel im Kosovo über 400 Tankstellen, obwohl für das Verkehrsaufkommen weniger als 150 genügen würden.
Verschärft habe sich in den vergangenen Jahren auch die Korruption bis hin zu systematischen Bestechungs- und Einschüchterungsversuchen gegenüber Richtern und Staatsanwälten. Die Macht liege derzeit weniger bei den staatlichen Organen, sondern werde von albanischen Großfamilien ausgeübt. Für viele von ihnen steht das "Kanun" - ein Ordnungssystem, welches über Familie, Altersauthorität, Ehre und Blutrache funktioniert - als "Gesetz über den Gesetzen" und gilt mehr als rechtsstaatliche und demokratische Strukturen.
Die 15 bis 20 Clans besetzen nahezu alle wesentlichen gesellschaftlichen Schlüsselpositionen und haben engste Verbindungen zu führenden politischen Entscheidungsträgern. Namentlich belastet werden nach Aussage der WELTWOCHE in der Analyse der aktuelle Ministerpräsident Thaci und sein Vorgänger Haradinaj.
Letzterem wurde inzwischen in Den Haag der Prozess gemacht. Ihm wurde vorgeworfen im Kriegsjahr 1998 Serben in der Dukagjini-Region, die nicht mit der UCK kooperieren wollten, vertrieben und misshandelt zu haben. Doch konnten ihm die Taten nicht nachgewiesen werden, wobei das Gericht - man staune - "massive Einschüchterung und Bedrohung von Zeugen" beklagte.
Wenig schmeichelhaftes berichtet die Analyse auch ausgerechnet über die internationale Eingreiftruppe und die UNO-Verwaltung. Erstere agierten mittlerweile völlig konzeptlos und seien von der Mafia infiltriert, so dass diese über Kontrollen im voraus informiert sei. Letztere gehören angeblich zu den besten Kunden der geschätzt 100 Bordelle, wodurch sich das Kosovo zum Zentrum des internationalen Frauenhandels für teilweise minderjährige Prostituierte entwickelt habe. Auch habe manche Aktivität zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zurückgenommen werden müssen, um das Leben der Mitarbeiter nicht zu gefährden.
Letztlich ist es nicht gelungen die Grundversorgung mit Strom sicherzustellen. Stundenlange Ausfälle fordern im Winter Tote - und auch der Versuch die multiethnische Gesellschaft im Kosovo zu erhalten sei gescheitert. Die Serben haben sich in Enklaven verschanzt, werden regelmäßig mit Steinen beworfen, angegriffen, belästigt und eingeschüchtert. Friedhöfe werden geschändet und Hauswände mit Hass-Parolen beschmiert.
Das alles klingt so anders als die offiziellen Verlautbarungen, dass man sich fragt warum dies so ist. Die Antwort liegt im "Okay-Reporting", einer systematischen Unterdrückung kritischer Informationen, um politische Zielvorgaben zu erfüllen, eine "gute Presse" und individuelle Profilierung zu erreichen. "Vor die Hunde" gehen dabei die Missionsziele und die Glaubwürdigkeit. Einziger Ausweg wäre ein Ende des Wunschdenkens und die Konzentration auf das Machbare. Das die Operation Eulex genau in dieses Problemfeld zielt, scheint dem Rechnung zu tragen. Eines aber ist klar: Die UNO kann noch lange nicht abziehen. Denn noch ist der Kosovo ein "Feuerwerksladen voller Pyromanen".
Besonderer Brennpunkt sind dabei die serbischen Siedlungsgebiete im Kosovo - allen voran die im Norden gelegene, an Serbien angrenzende Region Mitrovica. So hatten z.B. drei Tage vor der Unabhänigkeitserklärung serbische Mitarbeiter das "Courthouse" in Mitrovica besetzt. Am 17. März 2008 drangen UNMIK-Polizisten ein und nahmen 53 Personen fest. Als sie diese in's Untersuchungsgefängnis verbringen wollten, näherte sich auf der Hauptstrasse ein wütender Mob, der die Freilassung der Inhaftierten forderte. Innerhalb von Sekunden wurde aus der Verhaftungsaktion eine Straßenschlacht, "wie sie das Kosovo nicht nicht erlebt hat", schreibt die Zeitschrift LOYAL.
Offenbar war die Randale organisiert. Der Mob ging zuerst mit Metallstangen gegen die Postenkette von UNMIK und französischer KFOR vor, dann wurden Pflastersteine, Molotowcocktails und schließlich sogar Handgranaten geschmissen.
Die KFOR setzte erst Tränengas und Blendgranaten ein. Schließlich mußten Scharfschützen die Rädelsführer gezielt unter Feuer nehmen. Ein Toter und über 100 Verletzte kostete die KFOR die Straßenschlacht, die erst nach acht Stunden endete. "Die Ereignisse von Mitrovica haben unsere Lage völlig verändert", resümierte einige Tage später der stellvertretende KFOR-Kommandeur und deutsche Generalmajor Gerhard Stelz.
Nächster Brennpunkt dürfte der 11. Mai 2008 werden. Denn aus Belgrad war zu hören, dass die Gewalt von Mitrovica nur die Generalprobe für eine große Randale am Tag der Kommunal- und Parlamentswahlen gewesen sei. Ziel der Extremisten sei die Abspaltung des Norden des Kosovo und die Wiederangliederung an Serbien.
Die KFOR kämpft aber nicht nur gegen die mafiösen Strukturen und randalierende Minderheiten. Auf andere Art fast noch gefährlicher dürfte die "dritte Front" sein, die aus den widerstrebenden Interessen der Weltgemeinschaft und der europäischen Länder besteht. So gilt nach wie vor die UN-Resolution 1244 als Grundlage für den Einsatz. Diese jedoch definiert das Kosovo - völkerrechtlich korrekt - als Teil von Serbien. Blockiert von Russland und China kann sich die UNO auf keine neue Resolution einigen, so dass ausgerechnet Moskau und Belgrad - die bislang der internationalen Mission stets die Legitimation absprachen - nun die uneingeschränkte Gültigkeit der Resolution einfordern. Schließlich hebeln die 35 Regierungen, welche das Kosovo inzwischen anerkannt haben, damit ausgerechnet jenes Völkerrecht aus, auf dessen Einhaltung sie sonst immer pochen.
So schließt sich der Kreis, der vor 9 Jahren mit einem - nach Ansicht vieler - völkerrechtswidrigen Angriff gegen Jugoslawien begann, und nun erneut in einem völkerrechtswidrigen Dilemma einen vorläufigen Höhepunkt findet.
Quellenangaben:
Reservistenverband - Zeitschrift "Loyal"
Website der Bundeswehr
www.weltwoche.ch
Main Post
Auswärtiges Amt
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung