Im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht, wurde allgemein von einer "Vorwarnzeit" von 10 Jahren gesprochen.
Schließlich sei man ja "nur noch von Freunden umgeben". Die Annektion der Krim und die Einflussnahme Russlands im Osten der
Ukraine zeigen deutlich, dass die Einschätzung der "Vorwarnzeit" revidiert werden muss. Auch wenn Deutschland selbst momentan
von den Geschehnissen nicht bedroht ist, so wäre es gleichwohl derzeit nicht in der Lage, seinen Bündnisverteidigungsauftrag
zu erfüllen, sollte sich der derzeitige Konflikt über die Ukraine hinaus ausdehnen.
Denn mittlerweile hat selbst die Presse entdeckt, vor dem Soldaten und Reservisten seit mehr als 10 Jahren warnen:
Die Bundeswehr wird immer weniger Einsatzfähig. Eine Aufforderung des Ministeriums an die Teilstreitkräfte, die Einsatzbereitschaft
ihrer Waffensystems zu melden, brachte zu Tage: Im zweiten Quartal dieses Jahres waren von 33 Transporthubschraubern NH-90 nur
fünf, von 109 Eurofightern acht, von acht Seefernaufklärern P3C "Orion" einer und von 21 Marinehubschraubern "Sea King" zwei
einsatzfähig. Bei älteren Mustern - wie dem LTH "Bell UH-1D" oder der "Transall" - dürfte die "Klarstandsmeldung" noch schlimmer
aussehen. Denn seit Jahren fliegen Muster - wie auch die CH-53 - nur noch, weil pro Maschine ein bis zwei weitere als Ersatzteillager
dienen.
Wesentliche - aber nicht einzige - Ursache ist die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Auch wenn die interne Verteilung der Gelder
so ineffizient ist, dass jährlich hohe Milliardenbeträge an das Finanzministerium zurückgehen. Mehr als zwei Jahrzehnte wurde der Etat
derart gekürzt, dass bei der Erhaltung vorhandenen Geräts gespart und die Einführung neuer Systeme auf später verschoben werden
musste. Dabei handelt es sich bei den "neuen Systemen" vielfach noch um Entwicklungen, die in den neunziger Jahren angestoßen
wurden. Von wirklich modernen Fähigkeiten - wie etwa die strategische Aufklärungsfähigkeit - ist die Bundeswehr so weit entfernt,
wie der Mond von der Erde.
Gleichzeitig entstand durch die Einsätze im Ausland erheblicher Bedarf. In der Folge entstand die Doktrin des "vom Einsatz her
denken" und alles wurde auf die Versorgung der Einsatzsoldaten ausgerichtet. So richtig und notwendig das auch war, so falsch
erweist sich nun die Ausrichtung auf ein einziges Einsatzspektrum - die asymetrische Bedrohung. Mit der Konzentration auf
dieses Bedrohungsszenario bei gleichzeitiger Beibehaltung aller anderen bisherigen Fähigkeiten auf geringstmöglichen Niveau
hoffte man von allem etwas zu haben und damit auf alles vorbereitet zu bleiben. Nun zeigt sich, dass die Bundeswehr zwar von
allem etwas hat - aber nichts mehr richtig kann. Insbesondere die Fähigkeit zum Gefecht der verbundenen Waffen und zur
Bündnisverteidigung ist sowohl von der Materiallage, wie auch von der Ausbildung her weitgehend verloren gegangen.
Denn entgegen offizieller Verlautbarungen ist die Personallage der Bundeswehr nach Abschaffung der Wehrpflicht ebenso marode,
wie die nun "entdeckte" Materiallage. So fehlt es der Luftwaffe an Besatzungsnachwuchs, kann die Marine ihre Schiffe nicht mehr
mit genügend Personal ausstatten und das Heer seine Kampfbataillone nicht mehr komplett mit Personal füllen. Was aber angesichts
der Tatsache, dass es diese mit dem benötigten Gerät (Waffen, Fahrzeuge) nicht mehr vollumfänglich ausstatten kann, fast
vernachlässigenswert erscheint. Fatal dabei ist, dass es in der Bundeswehr eine "Kultur der Positivmeldung" gibt. Soll heißen,
schlechte Nachrichten sind nicht erwünscht. Also spricht man nicht über fehlendes Material, sondern schafft so etwas wie ein
"dynamisches Verfügbarkeitsmanagement", mit dem sichergestellt wird, dass sich Panzerbataillone auf Übungen die wenigen
einsatzbereiten Kampfpanzer teilen.
Das darunter die Ausbildung leidet, liegt auf der Hand. Selbst zentrale Fähigkeiten von Soldaten werden nur noch in Ansätzen
vermittelt und zu wenig geübt. Anderes wird gar völlig "über Bord" geworfen. So lernt der Einsatzsoldat heute mit dem neuen
Schießkonzept nicht mehr, bei Beschuß Deckung zu suchen und dann gemeinsam zu wirken, sondern er soll sich dem Gegner zudrehen
und direkt das Feuer auf diesen eröffnen. Was beim sandalierten Gelegenheitstaliban wohl noch funktioniert, rächt sich spätestens
wenn der Soldat auf einen geschulten Gegner trifft.
Die Zeit, die Fehler zu korrigieren wäre also überfällig. Dazu braucht es an allererster Stelle einen Verteidigungsminister mit
problemorientierten Visionen, der es versteht Schwerpunkte zu setzen und ein Haus wie das Verteidigungsministerium zu führen.
Gleichzeitig muss er/sie die politischen Entscheider überzeugen können, die notwendigen Beschlüsse zu fassen. Wie problemorientiert
und zielführend in diesem Zusammenhang Vorschläge wie die Gleitzeit für Soldaten und Kindertagesstätten in Kasernen sind, erschließt
sich dabei wohl von selbst.
Nun ist die Verteilung politischer Ämter nicht immer zwangsläufig an die Fachkompetenz eines Ministerkandidaten gekoppelt. Was
durchaus auch für die Besetzung der Stellen in den Ausschüssen gilt. Das wäre prinzipiell nicht schlimm; steht dem Minister
und den Ausschüssen doch ein ganzer Tross von Beratern aus dem Ministerium zur Seite. Doch was, wenn diese Berater "alle aus
einem Guss" sind und ausschließlich eine bestimmte Sicht der Dinge fördern?
Auf einen solchen Zusammenhang sind zwei Journalisten von TAGESSPIEGEL und FAKT gestoßen.
www.afghanistan-connection.de
Umfangreich, detailliert und nicht nur interessant, sondern in weiten Passagen regelrecht erschreckend ist es, was die beiden Journalisten
in ihrem Bericht skizzieren. 13 Jahre Einsatz in Afghanistan gehen auch an der militärischen Führung nicht spurlos vorüber und
man erahnt Strukturen, welche zumindest die Gefahr beinhalten, dass das Militär wieder zum "Staat im Staate" wird.
Die Aufstellung der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee erfolgte jedoch genau mit der Absicht, das Militär als "Staat im Staate" zu
verhindern. Nun zeigt sich also, welche Gefahren von der Entscheidung ausgehen, die Wehrpflichtarmee als Bündnisverteidigungsarmee
zugunsten einer Freiwilligenarmee mit nur eingeschränktem Fähigkeitsspektrum zu opfern. Sowohl in dieser Hinsicht, wie auch in
der Frage der Bündnisverteidigungsfähigkeit.
Andererseits unterstellt diese Überlegung der "Connection", dass sie letztendlich staatsfeindliche Absichten verfolgt. Das
glaube ich, führt zu weit. Vielmehr wird erkennbar, welche Folgen die politische und militärische Ausrichtung auf ausschließlich
ein Aufgabenspektrum wegen finanzieller Spardrücke hat. Die Bildung von "Seilschaften", die einen sehr einseitigen Blick
entwickeln bzw. bei engen Ressourcen eben vorrangig ihre Prioritäten bedienen.
Das Soldaten im Einsatz gegenüber der Berichterstattung über ihren Einsatz und hinsichtlich der Einsatzregeln schon immer
misstrauisch waren, ist nicht neu. Das es in diesem Denkgefüge dann auch zu Regelüberschreitungen nebst falsch gelebter
Kameradschaft hinsichtlich der Aufklärung des Geschehens kommt, nur logisch. Insoweit ist auch die Taktik des Ministeriums des
"Verschleiern und Runterspielen" nichts Neues.
Das die Kluft zwischen "Drinnis und Draußis" bzw. "Einsatzsoldaten" und "dem Rest" jetzt aber anscheinend schon dazu führt,
dass man ohne eine bestimmte frühere Verwendung überhaupt nicht mehr in den "elitären Kreis der Entscheider" reingelassen wird,
ist eine absolut bedenkliche Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund brauchen wir Reservisten uns auch nicht mehr zu wundern, warum die Soldaten des kalten Krieges
- wenn auch nicht offen ausgesprochen, so aber doch gefühlt - zunehmend zur "verzichtbaren Reserve" gehören. Oder anders gesagt
- warum die Voraussetzungen zur aktiven Teilnahme an der "unverzichtbaren Reserve" an immer höhere Bedingungen geknüpft
und die Möglichkeiten der freiwilligen Reservistenarbeit immer eingeschränkter werden.
Oktober 2014
Andy Kohler
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